Beginnen wir mit dem oben erwähnten, der Gestaltung eines Alltags. Da mein Alltag in Deutschland aus Sport, Musik und vor allem Freunden bestand (und auch wieder bestehen wird ;) ), versuche ich selbstverständlich, sie auch zu meinem Alltag in Peru werden zu lassen, wobei Letzteres selbsterklärend der schwierigste Teil ist. Glücklicherweise habe ich jedoch einen sehr aktiven Gastbruder, welcher mich all seinen Freunden vorgestellt hat und mit denen ich von nun an am Wochenende unterwegs bin. Wir haben uns zwar aufgrund meiner derzeitigen Sprachkenntnisse nicht wirklich viel zusagen, aber sie mögen mich, ich mag sie, ist reden da nicht total überflüssig? Bis jetzt lässt sich sagen, dass die Clique ein lustiger, sympathischer Haufen ist und ich es hätte wirklich schlechter erwischen können. Mit meinen zwei deutschen Mitfreiwilligen hab ich es auch sehr gut erwischt, da wir uns extrem gut verstehen und viel Freizeit zusammen verbringen. Meine sportlichen Bedürfnisse decke ich zur Zeit mit dem Fitness Center in dem ich mich angemeldet habe (die Woche war mal für ein paar Stunden der Strom weg, trainieren bei Kerzenlicht hat ohne Zweifel etwas ghettomäßiges an sich) und Sport auf meiner Arbeit. Fußball oder ein Kampfsport folgen eventuell noch. Eine meiner ersten Erwerbungen hier war eine Gitarre, womit nun auch der letzte Aspekt abgedeckt wär. Dies erwies sich als eine äußerst sinnvolle Investition, da hier wirklich alles und jeder auf Gitarre abfährt (Pluspunkte für mich ;) ). Ja…sonst verbringe ich meine Tage eigentlich wie ein typischer Peruaner. Ich esse brav meinen Reis mit Fleisch, süffel jeden Tag den obligatorischen halben Liter Inka Cola. Anfangs noch eingeschüchtert von der neongrünen Farbe und dem unbekannten Geschmack, lernten meine sensiblen und exquisiten Geschmacksknospen dieses Gebräu jedoch zu schätzen und lieben. Jedoch hat die peruanische Küche auch ihre Eigenheiten! Hin und wieder kommt es vor, dass ein Entenfuß in der Suppe umher schwimmt und man sich einfach nur fragt: Warum?! Auch bin ich mir sehr sicher, dass ich unter anderem in meiner Suppe kleine frittierte Fischgehirne gegessen habe. Als ich mich erkundigte, ob dem auch so sei, lachte mein Informant und versicherte mir, dass ich mich irren würde (jaaa klar, meine Geschmacksnerven erkennen Fischgehirn, wenn sie Fischgehirn essen, netter Versuch!!). Kommen wir zu weiteren kleinen Geschichten aus meinem Alltag. Diese Peruaner und ihr elendiges Tanzen! Wer mich kennt, weiß, dass ich dem tanzen grundsätzlich nicht abgeneigt bin…jedoch tanze ich nicht jeden Tag zu jeder Uhrzeit und zu jedem Anlass! „Hey wir haben gerade 1 Kg Reis und 500g Fleisch zu Mittag gegessen (normales peruanisches Mittagessen)…lass uns tanzen!“… „ ähh nein?!“. „Es ist 8 Uhr morgens und im vollaufgedrehten Radio läuft Salsa (was auch sonst?!)… lass uns tanzen!“… „danke, ich verzichte.“. „Wie du tanzt in der Disko nicht 4 Stunden am Stück?…komm her, lass uns tanzen!“… „ich bin dann mal an der Bar…“. So ähnlich läuft das hier immer ab. Generell wird man hier immer und überall mit Salsa bombardiert. Ich hege auch die Vermutung, dass es einen unausgesprochenen Wettbewerb in Nachbarschaften gibt, wer die lauteste Anlage und die meisten Salsa-CD’s hat. Doch wehe es ist nicht laut genug, dass alle Häuser im Umkreis von 300m es hören können! Leider, ich meine es ernst, leider kann ich mit dieser Musik gar nichts anfangen, sondern empfinde dieses Gedudel eher als unfaire Bestrafung für nicht begangene Sünden. Jedoch werde ich mich die nächsten elf Monate wohl oder übel mit dieser Musik auseinandersetzen müssen. Auch erlebte ich letztes Wochenende einen regelrechten Skandal. Unsere kleine Truppe entschied sich letzten Freitag dazu, die örtliche Karaoke bar aufzusuchen. Zu meiner Überraschung enthielt das Liederbuch sogar eine ganze Palette an bekannten englischen Liedern, und ich freute mich wie ein kleines Kind die Gäste dieser Stätte mit meinen eigenen Interpretationen von diesen wundervollen Liedern beglücken zu können. Voller Vorfreude gab ich meinen Wunsch „Here Without You“ von den 3 Doors Down auf und wartete mit meinen Freunden nun auf die Stunde der Wahrheit. Wir hörten dutzende spanische Liebeslieder, welche von einer grölenden Meute begleitet wurden , und klatschten alle möglichen vermeintlichen „Klassiker“ mit. Stunden vergingen und unsere zwei englischen Lieder (eine Freundin wählte noch „Dilemma“ von Nelly) erschienen einfach nicht auf der Anzeigetafel. Zwei Stunden und dreißig Minuten später, nachdem wir auch feststellten, dass eigentlich so ziemlich jeder Gast der den Laden betritt innerhalb von zwanzig Minuten sein Wunschlied zum Besten geben durfte, wurden wir uns der Tatsache bewusst, dass wir geschnitten wurden! Diese Ignoranten dachten wohl es würde die Stimmung der Bar zerstören, wenn zwischen den 200 spanischen Liedern (von denen manche bestimmt fünf Mal gesungen wurden-.-) mal zwei englische Lieder kommen würden. Meine peruanischen Freunde versuchten mich zu beruhigen und meinten, dass unsere Lieder noch kommen würden. Naiv und gutmütig wie ich bin schenkte ich ihnen Glauben. Um vier Uhr morgens, nach 3 ½ Stunden warten verabschiedete ich mich mit dem Versprechen nie wieder einen Fuß in diesen Tempel der Intoleranz zu setzen! Doch wie ihr mich kennt, habe ich diesen Schlag verkraftet und gelernt mit dieser persönlichen Niederlage umzugehen. Zweifelsohne hat auch mein täglicher Kampf mit dem Wäsche waschen per Hand eine Erwähnung verdient. Waschmaschinen besitzt hier eigentlich niemand und so muss man immer mit der Hand an die Sache ran. Bei meinem ersten Versuch muss ich wohl eine jämmerliche Figur abgegeben haben, da meine Gastmutter irgendwann zu mir kam und mir einfach die ganze Wäsche wusch. Diese Demütigung ließ ich jedoch nicht auf mir sitzen und ließ mir nicht mehr helfen, mit mäßigem Ergebnis, denn meine weiße Socken (und ich habe eigentlich nur weiße-.-) sind einfach nicht mehr das was sie einmal waren. Von daher traf ich einen genialen Entschluss, von nun an wird nur noch schwarze, bzw. dunkle Kleidung gekauft (ich weiß, ich bin ein Fuchs). Zum Abschluss dieses Themas habe ich noch eine kleine Anekdote aus den vergangenen Tagen für euch. Unschuldig und gut gelaunt stand ich also an der Hauptstraße, wartete auf ein Taxi, welches mich zum Fitness Center im benachbarten Ortsteil bringen sollte, als folgendes Geschah. Ein Auto fuhr an mir vorbei, aus diesem lehnte sich ein kleiner (geschätzt 9 Jahre) furchtbar übergewichtiger peruanischer Junge aus dem runtergekurbelten Fenster, zeigte mir den Mittelfinger und schrie mir im vorbei fahren „Gringoooo“ hinterher. Völlig betroffen stand ich da und fragte mich, was um Himmels Willen ich ihm angetan hatte (hatte ich ihm irgendwo in der Stadt das letzte Sandwich weggekauft ?). Ich werde es wohl nie erfahren. Und dann heißt es wir Deutsche hätten ein Problem mit Fremden ;). Da ihr jetzt hoffentlich einen kleinen Einblick in mein Freizeitleben in Peru erhalten habt, möchte ich nun zu den ernsteren und eher unschönen Aspekten meines Lebens hier kommen. Meine Arbeit. Das Wort „unschön“ ist vielleicht ein falscher Begriff, denn meine Arbeit macht mir Spaß. Viel mehr assoziiere ich mit dem „Unschönen“, die Sachen, mit denen man auf der Arbeit konfrontiert wird oder von denen man zu hören kriegt. Die Arbeit, welche ich erledige ist immer noch die Gleiche, mit der kleinen Veränderung, dass wir mehr Zulauf erhalten, woraus sich schließen lässt, dass die Kinder Gefallen daran gefunden haben, ihre Morgende mit uns zu verbringen. An sich eine äußerst positive Entwicklung. Im Großen und Ganzen gibt es zwei verschiedene Arten von Charakteren, mit welchen wir uns täglich auseinandersetzen. Zum einen wäre da der „Stille“, der zwar jede Aktivität eifrig mitmacht und auch mehr oder weniger auf Hilfestellungen und Anweisungen eingeht, aber kein Wort über die Lippen bringt und einen schlicht und ergreifend einfach nur anschweigt. Dann gibt es noch die „Alphatiere“. Diese zeichnen sich durch extrem laute Sprachorgane, einem gesunden Sinn zum Rebellieren sowie einer enormen Portion Selbstvertrauen (wenn auch nur vorgetäuscht) aus. Anfangs ist man dazu geneigt, sich vor allem von Letzteren nerven zu lassen und ihnen eine „Komm-leck-mich-am-A****-Attitude“ entgegen zu halten. Bekanntermaßen ist das jedoch auch nicht Sinn und Zweck meiner Arbeit und von daher machte ich es mir zur Aufgabe, mich mit dem „Warum“ zu beschäftigen. Ich kam zu dem Ergebnis, dass ihre Umwelt und Probleme wohl des Übels Ursache sind (ja ich weiß, bahnbrechende Erkenntnis ;) ). Dieses Verhalten wird einfach dazu benötigt, mit diesen Lebensumständen und der Armut fertig zu werden. Viele von den Kindern haben nichts außer ihren „Respekt“ und ihr “Selbstvertrauen“ und beim Fußball auf der Straße oder beim herumtigern durch die Stadt ist das nun mal alles was hier zählt. In gewisser Art und Weise ist es natürlich auch ein Schutzmechanismus, da sie oft verunsichert und hoffnungslos sind. Zu dieser Hoffnungslosigkeit möchte ich gerne später noch ein paar Worte verlieren. Euch wird jedoch auch bewusst sein, dass man nicht alle einfach so über einen Kamm scheren kann und so habe ich drei Einzelschicksale ausgewählt, welche euch einen Einblick in die Welt meiner Kinder hier gewähren werden. Meiner Meinung nach ist das der beste Weg eine Art von „Verständnis“ aufbauen zu können, auch wenn wir mit „normalen“ Leben , und machen wir uns nichts vor, natürlich dieses Leben nie verstehen werden…gestaffelt habe ich diese Schicksale nach „Härte“, wobei jedes an sich schon sehr hart und keinem zu wünschen ist…
Schicksal Nummer 1: Letzte Woche Donnerstag erhielt mein Chef abends, so gegen 11 Uhr, einen Anruf von einem der Kinder (einem der „Alphatiere“) . Er stammelte irgendetwas vom Gitarre spielen und einem Liedwunsch den er hätte. Mein Chef erzählte mir, wie er schon anhand der Uhrzeit und der vermeintlichen Banalität des Anrufs ein ungutes Gefühl hatte. Am Tag darauf schnappte er sich also besagte Person zu einem Einzelgespräch. Kurz und knapp: Der Junge wurde abends von seinem betrunkenen Vater verprügelt. Laut des Jungen war dies auch keine einmalige Sache, sondern „geschieht eben mal hin und wieder“. In seiner Verzweiflung wusste er sich an niemanden außer meinen Chef zu wenden. Als ich mich erkundigte, was denn nun unternommen werden würde, kam die ernüchternde Antwort in Form eines Lächelns: „Was sollen wir denn unternehmen? Ich habe ihm geraten seinem Vater aus dem Weg zu gehen, wenn besagter unter dem Einfluss von Alkohol steht“. Auf meine Frage nach Institutionen vergleichbar mit dem deutschen Jugendamt oder ähnlichem erfuhr ich, dass es drei Stunden entfernt zwar eine Art „Jugendhaus“ geben würde, dort jedoch weitaus mehr und schlimmere Misshandlungen stattfinden würden als hier in den Familien. Wir erinnern uns an das Wort „Hoffnungslosigkeit“.
Schicksal Nummer 2: Eine längere Ausführung ist dieses Mal nicht von Nöten. Einer der Schüler kam abends nach Hause und wurde von seinem am Strick hängenden Vater willkommen geheißen. Der Vater war anscheinend von der Aufgabe, seine Familie durchzuschlagen, überfordert und flüchtete in die rettenden Arme des Todes. Wie geht man als Kind mit so einem Anblick um und was erklärt man zu seinem Lebensziel? Erinnern wir uns bitte wieder einmal an das Wort „Hoffnungslosigkeit“.
Kommen wir zu Schicksal Nummer drei. Auch hier hält sich die Ausführung in Grenzen, da wenige Worte reichen um die Tragik dieser Geschichte zu schildern…
Schicksal Nummer 3: Wieder einmal ist einer der „Alphatiere“ betroffen. Nennen wir ihn „Garcia“. Garcia sitzt abends gemütlich mit seiner Familie beim Abendessen, unterhält sich wohlmöglich über die Geschehnisse des vergangen Tages und nehmen wir an, genießt das traute beisammen sein mit seiner Familie. Die familiäre Ruhe wird von einer aufkrachenden Tür gestört, durch welche ein Mann das Haus betritt, die Waffe hebt und den Vater am Essenstisch ermordet. Auch wenn mir keinerlei Hintergründe bekannt sind können wir uns darauf einigen, dass ein solches Erlebnis das Leben eines jeden Menschen zerstört. Garcias Leben dreht sich nur um dieses Ereignis und so ist es sein selbsterklärtes Ziel, den Mann der ihm seinen Vater nahm, sobald er „groß“ ist (Garcia ist zur Zeit 14 oder 15), zu finden und zu töten. Getrieben von dem Verlangen nach Rache steht Garcia jeden Morgen auf und gibt seinen Leben nur diesen einen Sinn. Erinnern wir uns nun zum letzten Mal an das Wort „Hoffnungslosigkeit“…
Ich bin glaube, liebe Leser, diese Schicksale sprechen lauter als irgendwelche Verallgemeinerungen und Klischees von Armut.
Widmen möchte ich mich nun dem Wort „Hoffnungslosigkeit“. Auch wenn ich erst seit vier Wochen hier verweile ist sie omnipräsent und unübersehbar. Egal von wem, sie wird gelebt, gezeigt und vor allem akzeptiert. Angefangen von arbeitslosen Erwachsenen, welche die Tage trinkend auf den Straßen verbringen, über Lehrer, welche nicht mal Anstalten machen, ihren Beruf auszuüben und sich lieber untereinander austauschen bis hin zu den Mitarbeitern in der lokalen Regierung von Tumbes, welche Korruption betreiben wann immer sich die Gelegenheit bietet und auch sonst nicht sonderlich motiviert zum Arbeiten sind. Die Kinder kriegen diese „Hoffnungslosigkeit“ quasi von klein auf eingeimpft und wissen sich auch nicht gegen diese zu wehren. Von was soll ich ihnen erzählen? Von der großen Akademikerkarriere? Die Eltern der meisten lachen sich kaputt, wenn die Kinder studieren gehen wollen und verlangen, dass diese lieber arbeiten und so Geld ins Haus bringen. Selbst wenn die Eltern gewillt wären, würden die Studiengebühren die Haushälte meiner Zielgruppe überfordern. Fakt ist, dass die Schule für den Durchschnitt ein Zeitvertreib für die Jahre 6-16 ist. Viele verfolgen das Ziel, sich ein Moto-Taxi zu kaufen und davon zu leben. Hohe Ziele haben hier wenige. Für den Großteil wird es aller Wahrscheinlichkeit sowieso ein Leben als Straßenverkäufer geben. Die Hoffnung auf mehr hält sich in Grenzen. Vielleicht noch eine Familie. Dies steht besonders bei den Mädchen hoch im Kurs, welche auch oft nur das Ziel haben, so früh wie möglich Kinder zu kriegen und eine Familie zu gründen, da für sie darin der einzige Sinn des Lebens besteht. Wundert es einen, dass deswegen schwangere 14 Jährige auf meiner Schule keine Ausnahme sind? Auch für mich ist es hart mit dieser Hoffnungslosigkeit konfrontiert zu werden. Lebe ich doch in einer ganz anderen Welt, einer Welt voller Hoffnung…ich bin hier nur zu Besuch…nach diesem Jahr heißt es für mich studieren gehen, wohlmöglich ein, zwei Auslandssemester mitnehmen und dann, wenn alles gut läuft, einen passablen Job zu ergattern und weiterhin den Luxus der westlichen Gesellschaft zu genießen. Alles was bleibt sind Erinnerungen und das Wissen, dass es auf der anderen Seite der Welt anders aussieht. Karrieren planen zu können, ist ein Luxus, der einzig und allein uns Westlern vorbehalten ist. Für die Anderen gilt es Tätigkeiten zu finden mit denen sie sich und ihre Familie über Wasser halten können. Doch all dies wissen wir, auch ohne es gesehen zu haben und trotzdem genießen wir alles ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Wir wissen sehr wohl, dass unser Wohlstand auf der Ausnutzung der anderen basiert und dieses Leben niemals für den Großteil der Bevölkerung erreichbar sein wird. Wir reden von den Vorteilen von stetigem Wirtschaftswachstum und wissen doch, dass ständiges Wachstum die anderen nur noch mehr benachteiligt. Das Schlimmste ist jedoch, eigentlich weiß es jeder und trotzdem akzeptieren wir es, stören uns nicht weiter dran und begründen es mit „harter Arbeit“ …auch ich. Niemand ist unschuldig. Wir alle genießen den Komfort dieses Systems. Wir alle tragen dieses Wissen in uns. Nur verdrängen wir es oft oder lachen darüber. Das Lachen vergeht einem wenn man am anderen Ende der Nahrungskette steht. Doch nicht mal da stehe ich im Moment. Meine Gastfamilie ist noch eine der Glücklichen hier, welche mit Wasser sowie Elektrizität ausgestattet ist und sich Luxus wie Internet leisten kann. Hier sitze ich also in meinem Bett, bewaffnet mit W-LAN und Netbook und schreibe über die Miseren und Ungerechtigkeiten der Welt…ich bin mir dieser Absurdität durchaus bewusst. Bevor ich uns jedoch alle in tiefe Depressionen und Selbstzweifel stürze höre ich hier mit diesen nihilistischen Gedanken auf und überlasse das Denken jedem von euch selbst ;) …
Was sind also meine Ziele für das Jahr? Werde ich mich daran machen diese Hoffnungslosigkeit zu bekämpfen? Will ich „meinen“ Kindern von den Vorteilen des Lernens erzählen? Nein, all dies habe ich von meiner Liste gestrichen. Viel mehr mache ich es mir zur Aufgabe ihnen Lichtblicke zu bieten. Für die meisten von den Kindern sind die 3 ½ Stunden mit mir die einzige Zeit am Tag in der sie den Problemen und der Armut entkommen können. Sie können sich verlieren in der Schönheit des Musizierens, im Wettkampf des Sports oder im Ausdruck des Tanzens. Im Normalfall erleben sie diese Flucht mit Hilfe von Drogen, welche sie für einige Zeit von allen Problemen befreien. Die Dankbarkeit, die mir von den Jungs entgegenbracht wird, wenn ich ihnen ihr aktuelles Lieblingslied auf der Gitarre beibringe oder wenn wir durchgeschwitzt und blutend ein Spiel in der letzten Minute gewonnen habe, kann ich nicht mit Worten wiedergeben, sie steckt in jedem der Blicke und Lächeln, welche mir die Jugendlichen zu werfen. Alles was ich bieten kann ist eine kurzweilige Flucht aus dem für sie „normalen“ Leben. Nach allem was ich erzählt habe wundert es glaube ich keinen mehr von euch, warum es täglich mehr werden, die dieser „Flucht“ beiwohnen wollen. Natürlich werde ich mich von Zeit zu Zeit mit ihnen unterhalten, nach ihren Plänen für die Zukunft fragen und über ihre Erlebnisse reden. Doch die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Ich befinde mich zur Zeit in dem Prozess des Aufbaus des Vertrauens und er verläuft zweifelsohne prächtig. Nach anfänglichen Zweifeln, welchen Sinn meine Arbeit denn haben könnte, ist es nun schön den Sinn entdeckt zu haben. Vielleicht hört es sich für manche von euch danach an, als würde ich mich mit wenig zufrieden geben und meine Messlatte relativ niedrig anlegen. Doch alle, die schon mal einer ähnlichen Situation ausgesetzt waren, wissen wovon ich rede und wissen, dass wenn man diese vermeintlich „kleinen“ Ziele erreicht, in den Augen der Kinder und um die geht es im Endeffekt ja, sehr viel erreicht hat.
Kommen wir langsam zum Ende meines Eintrags. Wohlmöglich ist es mir gelungen durch das Teilen meiner Gedanken auch Einige von euch zum Nachdenken zu bewegen, wenn auch nur für ein paar Minuten. Nicht das das Belehren von euch ein selbsterklärtes Ziel von mir wäre, aber ich glaube es kann nicht schaden sich über solche Dinge ein paar Gedanken zu machen. Einfach um sich mal bewusst zu werden, was man hat und was man nicht hat. Des Weiteren wird es Zeit, nicht mehr die Tage bis zur Wiederkehr zu zählen, sondern die Tage einfach geschehen zu lassen und für den Moment zu leben. Jedem Tag die Chance geben einer der Unvergesslichen zu werden. Abschließend kann ich nur sagen, dass auch wenn mein Jahr getrennt von Bekanntem, Freunden und Familie jetzt erst richtig begonnen hat, ich eben genannte selbstverständlich immer vermissen werde und über die Erfindung von Skype sehr dankbar bin (an dieser Stelle ein persönliches Dankeschön an den Erfinder, vielleicht verfolgt er ja zufällig meinen Blog). Es beinhaltet eine große Umstellung, die Wochenenden nicht mehr mit den heimischen Freunden zu verbringen oder einfach mal schnell auf einen spontanen Besuch vorbei zu kommen. Darin jedoch, getreu meiner vom Optimismus getriebenen amerikanischen Hälfte, sehe ich eher die Chance, als die Bitterkeit dieser Tatsache. Ist es doch die erste wirklich ernsthafte Probe auf die meine tiefen Freundschaften gestellt werden (gemeinte Personen wissen, dass ich sie meine). Hinzufügen muss ich jedoch, dass ich bei diesen Personen auch keinerlei Bedenken darüber habe, ob das Jahr der Freundschaft Schäden zu führen wird oder nicht. Vielmehr bin ich ausgesprochen dankbar für die Unterstützung und Treue meiner Freunde (die „Dummen“ dürfen sich jetzt gegenseitig auf die Schulter klopfen). Mit diesen Schlusssätzen verabschiede ich mich und hoffe, dass die Minuten, die ihr zum Lesen dieses Eintrags geopfert habt keine Zeitverschwendung waren ;)…
PS: Ich spiele mit dem Gedanken, es mir zum Lebensziel zu machen, die Art der Moskitos zu auszurotten, da dieses Tier meiner Meinung nach ein verlängerter Arm des Teufels ist und keinen biologischen Zweck auf dieser Welt erfüllt, um ihr Dasein zu rechtfertigen.
PS2: Vorgestern drohte einer der Schüler, mit dem ich mich persönlich super verstehe, einem der Lehrer, nachdem dieser ihm eine „Backpfeife“ verpasst hatte, damit, ihn von seinen Freunden auf der Straße umbringen zu lassen. Dass dies gar nicht so unrealistisch zu sein scheint und ernst zu nehmen ist, beweist alleine die Tatsache, dass der Lehrer vor lauter Angst Bericht erstattet und nun Angst zu unterrichten hat. Habe ich nicht reizende Schützlinge?! ;):D
PS3: Auf einem Ausflug mit meiner Organisation vor ca. 2 Wochen sah ich einen vom Leben enttäuschten Hund herumschleichen. Ich habe in meinem Leben ja schon viele heruntergekommene Straßenköter gesehen, aber dieser war mit Abstand der Traurigste. Wie er langsam und zitternd ein Bein vor das Andere setzte, die Haut in riesigen Lappen von seinem Körper hing und die Augen trostlos, gefüllt mit Trauer, am Boden klebten, tat er mir so unsagbar leid, dass ich ihn am Liebsten von seinem Elend befreit hätte…ich gab ihm den Namen „Jan-Willem“.
Lieber Lucas,
AntwortenLöschenvoller Ehrfurcht hab ich deinen Artikel gelesen und konnte wirklich kaum fassen wie krass du eigentlich schreiben kannst. Auch weißt du bestimmt, dass ich nur ungern zugebe, wenn es jemand sprachlich und schriftlich richtig draufhat. Trotzdem muss ich meinen Hut ziehen. Würden sie von deinen ungewaschenen Socken nicht so fürchterlich stinken, hätte ich dir vielleicht sogar jemanden zum Füßeküssen vorbeigeschickt.
Du hast schon viele wichtige und interessante Beobachtungen gemacht. Ein weiter Grund für deine Anwesenheit ist meiner Meinung nach auch, dass sich der Laden mit dir als Ausländer schmücken kann. Das mag banal klingen, ist aber ziemlich relevant, weil somit das lokale Ansehen der Arbeitsstelle steigt und auch für Zulauf und einen besseren Ruf sorgt. Also allein deine Anwesenheit hilft schon!
Starke Aktion, dass du dich zu "weltwärts" entschieden hast. Zieh dein Ding durch!
Und denk immer dran "Nur die Harten komm´in´Garten!" ;-)
Pass auf dich auf und bau kein´ Scheiß!
Jan